16. April 2019 aus dem Reutlinger Generalanzeiger

Schlicht und ergreifend

Die Pfullinger Martinskantorei und das Martinskollegium mit Reinhard Keisers Markuspassion

VON MARTIN BERNKLAU

PFULLINGEN. Die Leute strömen halt nur noch zu den Bach-Passionen, wieder und wieder. Ein paar mehr Besucher in der Pfullinger Martinskirche hätte dieses schöne und interessante Palmsonntagskonzert unter der Leitung der jungen neuen Kantorin Bettina Maier doch wahrhaftig verdient gehabt. Und Bach sei ein mächtiger Zeuge dafür: Denn er hat diese Markuspassion, vielleicht sogar mehrfach, in Leipzig aufgeführt (und mit Chorälen ergänzt), die dem überaus erfolgreichen Hamburger Opernkomponisten Reinhard Keiser als Frucht seiner späten und frommen Kantorenjahre zugeschrieben wird. Womöglich, wahrscheinlich sogar, hat sie aber der noch etwas ältere Hamburger Barock-Kollege Friedrich Nicolaus Bruhns geschaffen.

Es fehlt dieser »Hamburger Markuspassion« vielleicht an solch majestätischen Eingangs- und Schluss-Chören wie bei Bach, vielleicht auch an so einprägsamen Sinfonia-Einleitungen, wie Händel sie seinem »Messias« voranstellte. Wunderbare und ergreifende Arien aber hat die Markuspassion auch. Diese Schmuckstücke hatte Bettina Maier Solisten in die Hände gelegt und ihren Stimmen anvertraut, die allesamt sehr eindrücklich zu gestalten wussten, durchweg im etwas weniger überdramatisierten und -artikulierten Stil der neuen Zeit, mit weniger Vibrato, schlanker und schlichter: der Sopranistin Petra Dieterle, Regina Grönegreß (Alt), dem Tenor Martin Steffan und dem obertonreichen Bariton Steffen Balbach in den Bass-Partien. Die Evangelistenrolle oblag Marcus Elsäßer.

Auffallend war, dass die Männerstimmen in Lage und Timbre ganz eng beieinander waren: hell und leicht. Es ist ja vielleicht auch ganz sinnvoll, wenn man die barocke Tradition nicht zum Dogma macht, die dem christlichen Gottessohn einen voluminösen Bass zuweist. War doch der Jesus der Evangelien, und gerade der leidende und sterbende im ältesten Bericht nach Markus, wohl eher ein sanfter Jüngling.

Mädchenhaft reiner Sopran

Für den Altus hatte die Dirigentin eine nicht gar zu dunkle Mezzo-Lage und für den Sopran eine ausgesprochen mädchenhaft reine Färbung des Zerlina-Typs bevorzugt. Vielleicht verdienen die beiden zentralen Arien »O süßes Kreuz« für den Bass und »O Golgatha« für einen meditativ betrachtenden Sopran eine besondere Erwähnung. Das soll die schönen Gestaltungen der anderen Solisten und ihrer Arien nicht geringer werten.

Die Martinskantorei hatte ihre eher kompakten Chöre, auch die kurzen dramatischen »Turbae« sehr gut im Griff, gestaltete die Choräle und die relativ übersichtlichen Fugen sorgsam und mit einer gewissen Leichtigkeit. Auch im Orchester des Martinskollegiums gab es bei dem sehr flüssig und sozusagen Schlag auf Schlag durchkomponierten Werk ab und an mal kleine Hänger in der Konzentration. Wobei die stark geforderte Continuogruppe sich besonders wenig an Schwächen leistete. Schön auch die dialogischen Instrumentalsoli des Cellos in dem Alt-Choral «Wenn ich einmal soll scheiden« oder von Konzertmeister Stefan Knote in der Sopran-Arie «O Golgatha« – schlicht und ergreifend, wie so vieles an dieser Aufführung.

Die nicht immer leichten und oft originellen Modulationen dieser Hamburger Markuspassion machten weder dem erzählenden Evangelisten Marcus Elsäßer noch seinen Solisten-Kollegen, noch dem Orchester oder den Generalbassisten hörbare Mühen. Und auch der Chor war seinen Aufgaben sehr gut gewachsen – bis zum schon ein bisschen prächtigeren »Amen«, das in strahlendem Dur endete. Nach angemessen langer Stille gab es besonders ausgiebigen Applaus. (GEA)

30. März 2019 

Die Christusglocke läutet in der Stille

Einen ganz besonderen kirchenmusikalischen Schatz, der noch niemals in Freudenstadt aufgeführt wurde, bekamen die Zuhörer in der evangelischen Stadtkirche zu hören: die "Johannespassion" von Thomas Selle.

Ergänzt wurde das Konzert mit der Vertonung der letzten sieben Worte Jesu’ "Da Jesus an dem Kreuze stund" von Michael Praetorius (1571 bis 1621). Die sechs Solisten mit ihren brillanten Stimmen: Petra Dieterle (Sopran), Livia Kretschmann (Alt), Andrea Wahl (Alt), die Tenöre Hubert Mayer und Gregor Jenne sowie Steffen Balbach (Bass).

Das dritte Intermedium "Oh Lamm Gottes unschuldig" hatte die Funktion des Abschlussgebets und wurde wundervoll und mit besonderer Wirkung von den Solisten Dieterle, Balbach und Mayer im Wechsel mit dem Chor und vom Orchester leise begleitet, vorgetragen.

26. März 2019 aus der Schwäbischen Zeitung/Riedlingen